Spielsucht - die Stille Sucht

In den letzten Jahren ist in der Steiermark und dann österreichweit eine öffentliche Debatte über das „Kleine Glücksspiel“ und seine gesundheitlichen, sozialen wie auch wirtschaftlichen Auswirkungen und Hintergründe entstanden. Glücksspielsucht, eine Verhaltenssucht, wird dadurch nicht länger tabuisiert. Diese aktuelle Diskussion ergänzte der steirische Verein JUKUS mit Sitz in Graz im Sinne seiner gleichstellungsorientierten und emanzipatorischen Ziele durch sein Projekt „Spielsucht – die stille Sucht“ (Mai 2012 - Oktober 2013) aus der Perspektive von gesellschaftlicher Vielfalt und Diversität.

Das Ziel des Projekts war ein langwirkender Beitrag zur Implementierung diversitätssensibler Zugänge in der Spielsuchtpräventionsarbeit mittels Vernetzungs- und Fortbildungsangeboten für die unterschiedlichen Einrichtungen, die hier mitwirken können. Aufbauend auf einem Überblick zur Spielsucht / problematischem / pathologischem Glücksspielverhalten in der Steiermark, organisierte der Verein JUKUS Vernetzungsangebote und Fortbildungen in Form von Workshops und zielgruppenspezifischen Bildungsangeboten für MultiplikatorInnen und ExpertInnen aus Sozial-, Jugend- und Gesundheitsförderungseinrichtungen, der Suchthilfe, der Schuldenberatung und migrantischen (Selbst)Organisationen und Vereinen. Weiters machten wir Öffentlichkeitsarbeit zur Thematik mit der Intention, nicht-stigmatisierende Formen der Kommunikation zu entwickeln und damit diskriminierende Zuschreibungen hintanzuhalten. Im Rahmen des Projektes „Spielsucht - die Stille Sucht“ entstanden aus der praktischen Arbeit heraus weiters rechtspolitische Empfehlungen, die an die entsprechenden politischen und behördlichen Stellen teils mit Erfolg kommuniziert wurden. Diese Maßnahmen stellten wichtige Akzente dar, die Projekterfahrungen im Sinne der Nachhaltigkeit in den politischen Diskurs einfließen zu lassen und somit zur gesellschaftlichen „Verhältnisänderung“ beizutragen.

Der Beweggrund für dieses Projekt war die in den letzten Jahren verstärkte Wahrnehmung der Glücksspielproblematik in der JUKUS-Arbeit: Durch unsere niederschwelligen Zugänge konnten wir sowohl in der offenen, interkulturellen Jugendarbeit, unserer Beratungstätigkeit und in unserem Engagement in den Grazer Stadtteilen Lend, Gries und Eggenberg, insbesondere Gegenden wie dem Annenviertel und dem Areal um den Fröbelpark, diese Thematik verstärkt wahrnehmen. In diesen Grazer Bezirken leben viele sozioökomisch schlechter gestellte Personen, ältere Menschen und Menschen mit Migrationshintergrund. Zudem weisen die beiden Bezirke Gries und Lend eine sehr hohe Dichte an Glücksspielangeboten (Wettcafés und Automatenspielsalons, meist in Kombination) auf. Auf die hohe Anzahl an AutomatenspielerInnen unter Menschen mit problematischen und pathologischen Glücksspielverhalten hat in Österreich auch die 2011 veröffentlichte Studie von Jens Kalke et al „Glücksspiel und Spielerschutz in Österreich“ hingewiesen. In Zahlen wird in der österreichischen Bevölkerung von einer Prävalenzrate von 0,43 % an ProblemspielerInnen und 0,66 % an pathologischen GlücksspielerInnen ausgegangen. ExpertInnen sprechen sich daher zur weiteren Erforschung des Themas aus. Die Anfang Oktober 2011 vorgestellte "Neue steirische Suchtpolitik" des steirischen Gesundheitsressorts nimmt mindestens 4.000 bis maximal 35.000 Personen mit problematischem Glücksspielverhalten in der Steiermark an. Je prekärer die soziale Lage, je weniger Zugang zum Mainstream der Gesellschaft, je exkludierter, desto leichter kann diese Form von psychischer und körperlicher Abhängigkeit entstehen. Dies gilt zudem verstärkt für Menschen mit Migrationshintergrund, insbesondere (jüngere) Männer, wie die erstmalig durchgeführte österreichische Studie „Glücksspiel und Spielerschutz in Österreich“ (Kalke et al.) im Mai 2011 bestätigt.

Was die Glücksspielsucht so problematisch macht, sind ihre weitreichenden Auswirkungen auf die physische und psychische Gesundheit der Betroffenen, deren soziale Lage und ihr gesamtes Umfeld. Wie schon 1986 in der Ottawa-Charta der Weltgesundheitsorganisation (WHO) festgehalten, wird unsere Gesundheit durch soziale Faktoren und gesellschaftliche Dynamiken mitbestimmt, sie kann Auslöser oder Resultat dieser Prozesse sein. Ein Paradebeispiel sind Süchte/ Abhängigkeiten aller Art, die Gesundheit und Wohlbefinden im umfassenden Sinne (Ottawa-Charta) beeinträchtigen und auf das gesellschaftliche Umfeld der Betroffenen stark einwirken können. Ohne adäquate Unterstützung entsteht daraus eine Abwärtsspirale, die dieses Wechselspiel nochmals verschärft. Manche Süchte/ Abhängigkeitserkrankungen sind leicht wahrnehmbar, hier bestehen auch mehrere Angebote als Antwort darauf. Die Glücksspielsucht, eine pathologische Verhaltenssucht, hingegen ist eine stille Sucht, sie macht sich kaum für Außenstehende bemerkbar. Die Projektbezeichnung „Die Stille Sucht“ kam daher ausgesprochen gut bei unseren PartnerInnen und bei der Zielgruppe an, da sie genau dieses verschämte Phänomen beschreibt. Der Effekt ist der gleiche wie bei anderen Süchten, aber das Abgleiten ins gesellschaftliche Abseits und finanzielle Aus geschieht meist heimlich, still und leise. Dies belegen auch die aktuellen österreichischen Forschungsergebnisse zu diesem Thema, die heute besondere Gefährdung gerade durch Automaten gegeben sehen.

Durch das Projekt „Spielsucht – die stille Sucht“ konnte der Verein JUKUS einen Ansatz zur Korrektur dieser Problematik durch die Organisation von regional gestreuten Vernetzungsangeboten und diversitätssensiblen Zugängen bieten, die speziell für Einrichtungen aus dem Jugend-, Sozial-, Gesundheitsförderungsförderung und der (Spiel-)Suchthilfe und -prävention aufbereitet wurden. Zudem entwickelten wir suchtpräventionsbezogene Input und eine dafür geeignete Methodik für Migrationseinrichtungen, und boten diese Inhalte in verschiedenen Settings an. Wichtig war uns dabei, dass es nicht nur um Ethnizität gehen soll, sondern auch um die Faktoren Alter, Geschlecht und soziale Schicht, da diese miteinander verbunden wirken

JUKUS agierte bei diesem innovativen Projekt partizipativ, was zur Qualitätssicherung und zur Nähe an den Erfordernissen der Zielgruppe beitrug. Zur Vorbereitung dieses Angebot organisierten wir Fokusgruppen zur Erhebung des Bedarfs, und stellten unser Projekt bei verschiedensten Einrichtungen, Stellen, Behörden und MultiplikatorInnen aus den genannten Bereichen zunächst auf lokaler Ebene vor. Ebenso gelang es uns, das Projekt beim vierten Dialogforum der Donau-Universität Krems in Gmunden als Beitrag im Format eines Worldcafé vorzustellen und somit zusätzliche interessierte ExpertInnen und MultiplikatorInnen in Kenntnis über unser Vorhaben zu setzen. Weitere Projektvorstellungen, an denen das rege Interesse an diesem Thema in Österreich erkennbar wurde, fanden im Projektverlauf statt, ebenso wie ein Austausch mit einer slowenischen Einrichtung in Maribor, deren Ziel der Aufbau von Präventionsmaßnahmen für glücksspielgefährdete Jugendliche ist. Der Input aus den Fokusgruppen und den Projektvorstellungen floss soweit wie möglich in die Organisation der Workshops, die meisten ausserhalb von Graz, mit ein. Um bestehende fachliche Expertise ins Projekt zu holen, gaben wir zum Projektstart mehrere Fachbriefings und Kurzexpertisen in Auftrag. Diese wurden in der Bestandsaufnahme verwertet und brachten weitere Informationen und Schwerpunkte für die Weiterbildungsmaßnahmen. Ergänzt werden diese Kontakte durch zahlreiche, bewusst ausgewählte Einzelkontakte mit MultiplikatorInnen gerade im migrantischen Milieu, bei denen VertreterInnen von migrantischen und religiösen Communities direkt angesprochen werden.

Die Organisation der Workshop- und Fortbildungsreihe startete August/September 2012 mit der Kontaktaufnahme zu interesssierten Stellen. Im Herbst erfolgten die ersten zwei Workshops der Reihe in Feldbach und Graz, die jeweils mit unterschiedlichen Schwerpunkten „Spielsucht und Diversität“ und „Spielsucht, Diversität und Jugend“ Pilotcharakter für die weitere Reihe hatten. Der Workshop „Spielsucht und Diversität“ widmete sich dem Thema aus suchtpräventiver und diversitätsorientierter Perspektive mit Fachinput zu Spielsucht und gesellschaftlicher Vielfalt und der Möglichkeit zum Erfahrungsaustausch. Der zweite Workshop nahm das in Wien entwickelte, innovative Projekt „Big Win-Projekt“ in unser Repertoire auf und es stellte Grazer MultiplikatorInnen, die mit Jugendlichen arbeiten, vor. Eine Herausforderung stellte der Jahreswechsel 2012/13 dar, da viele von uns kontaktierte Organisationen keine genauen Zusagen bezüglich ihrer Partizipation an unserem Angeboten machen konnten. Ab April 2013 trat eine massive Verbesserung und Beschleunigung ein: Unser Projekt erhielt sehr gutes Feedback und war inzwischen breit bekannt. Weitere Workshops zum Thema „Spielsucht und Diversität“ fanden in der Obersteiermark in Knittelfeld und Kapfenberg statt, sowie in Leibnitz und Graz, mit großem Interesse und Zuspruch. Der Workshop zum Jugendschwerpunkt wurde in Leoben für Interessierte wiederholt. An den Maßnahmen nahmen 102 Personen (MultiplikatorInnen) aus der ganzen Steiermark teil, womit die geplante TeilnehmerInnenanzahl deutlich überschritten wurde. Der letzte Workshop war als peer-Streifzug durch den Bezirk Lend mit Fachleuten konzipiert, um einen interdisziplinären Blick auf Glücksspiel im öffentlichen Raum (Lokalisierung der Glücksspielangebote, Werbemodalitäten,…) zu werfen. Daneben sorgten Projektvorstellungen regional und überregional sowie Artikel in Fachmedien und Zeitschriften für eine nicht-stigmatisierend aufbereitete Öffentlichkeitsarbeit zu diesem hochtabuisierten Thema.

Die Ergebnisse von „Spielsucht – die stille Sucht“ können einen Beitrag dazu leisten, den Blick auf Gesundheitsförderung und Suchtprävention aus interkultureller und diversitäts- und gendersensibler Perspektive zu schärfen, und werden EntscheidungsträgerInnen (Politik, Verwaltung, Fachgremien) zur Verfügung gestellt. Durch das Projekt, das an der Schnittstelle Gesundheit, Soziales, Sucht, Jugend und Migration ansetzt, wurden VertreterInnen aus den genannten Bereichen durch Vernetzungs- und Fortbildungsmaßnahmen miteinander in Beziehung gebracht, bestehende Kontakte nochmals verstärkt und neue Synergien geschaffen.

Das Projekt zeigte mehrererlei:
Die Auseinandersetzung mit Spielsucht und Diversität/ Migration ist für viele der angesprochenen Einrichtungen von hoher Relevanz. Hier wird weiterer Bedarf an Schnittstellenarbeit und Bildungsangeboten konstatiert. Zudem wurden ähnliche Schwerpunkte (z.B. zum problematischen Internetkonsum) nachgefragt.
Zum anderen ist das Thema Glücksspielsucht bei migrantischen Vereinen, (Selbst-)Organisationen und Communities subtil spürbar. Ein sensibler, diversitätsorientierter Zugang, der diskriminierende Zuschreibungen vermeidet, und die Begegnung auf Augenhöhe über bewusst gewählte Kontakte in die Communities sind für eine gute Zusammenarbeit essentiell. Der 18-monatige Projektzeitraum erlaubte Raum für vertrauensbildende Maßnahmen. Da aber die Thematik eine sehr hochschwellige und tabu- und schambesetzte ist, zeigte sich, dass eine nachgehende, gemeinwesenorientierte Arbeit mit lokalen Netzwerken , etwa auch Stadtteilprojekten, wertvolle Zugänge bieten kann.
Als Erfolg des Projektes ist zu werten, daß im neuen steirischen Jugendgesetz eine von JUKUS im Rahmen des Projektes beim Begutachtungsverfahrens entwickelte Stellungnahme aufgenommen wurde. Diese ermöglicht eine verschärfte Kontrolle von Geldspielautomaten.
Die Nachhaltigkeit des Projekts zeigte sich durch die Platzierung des Themas im fachlichen Settings, wobei eine Fortführung der Kontakte diese Schnittstelle weiter verstärken kann, gekoppelt mit entsprechenden Bildungsangeboten.