Werte wie Fairness, soziale Gerechtigkeit, Förderung des Gemeinwesens und Empowerment von Frauen und Männern sind das Herz der Gesundheitsförderung. Und sie sind 30 Jahre nach Ottawa relevanter als je zuvor – global wie auch in Europa (EuroHealthNet 2016).
Die internationale Forschung belegt, dass ein systematischer Zusammenhang zwischen sozialem Status und Gesundheit besteht, der als ‚sozialer Gradient‘ der Gesundheit bezeichnet wird. Das heißt, die gesundheitlichen Chancen der Menschen verschlechtern sich, je weniger Bildung und Einkommen zur Verfügung stehen und je niedriger der berufliche – und damit häufig auch der gesellschaftliche – Status ist. Die Ungleichheit zeigt sich nicht nur bei den sozioökonomisch am schlechtesten gestellten Bevölkerungsgruppen, sondern abgestuft in der gesamten Bevölkerung. (BMG 2015c)
Auch wenn die durchschnittliche Lebenserwartung österreichischer Frauen und Männer in den letzten 20 Jahren beträchtlich gestiegen ist – z. B. bei Frauen von 78,9 Jahren 1990 auf 83,4 Jahre 2010 (Statistik Austria 2012) –, ist dieser Anstieg in den sozialen Schichten ungleich verteilt. So ist beispielsweise die Lebenserwartung von Männern mit Pflichtschulabschluss um 6,2 Jahre niedriger als jene von Männern mit Hochschulabschluss (BMGFJ/Statistik Austria 2008). Diese Tatsache kann nicht nur in Österreich, sondern in ganz Europa beobachtet werden und ihren vielschichtigen und komplexen Ursachen wird seit einigen Jahren auch auf EU-Ebene nachgegangen (vgl. Stegeman/Costongs 2012).
Menschen mit ungünstigerem sozioökonomischem Status haben aber – statistisch gesehen – nicht nur eine niedrigere Lebenserwartung, sie sind auch häufiger von bestimmten Krankheiten und Behinderungen betroffen. Dieser Zusammenhang ist linear, international beobachtbar und relativ stabil bzw. steigend (Richter/ Hurrelmann 2009).
Die Verteilung von Gesundheit und Wohlbefinden hängt von vielen Faktoren ab, die auch miteinander interagieren. Dazu zählen: materielle Bedingungen (z. B. Wohnbedingungen), sozialer Zusammenhalt im Lebensumfeld (z. B. Sicherheit und Kriminalität), psychosoziale Faktoren (Rückhalt von Familie oder Freundinnen/Freunden), Verhaltensweisen (z. B. Ernährungs- und Bewegungsverhalten) und biologische Faktoren. Diese Faktoren sind beeinflusst von der sozialen Position, die wiederum von Bildungsstatus, Beschäftigung, Einkommen, Geschlecht und Ethnizität abhängt. Relevant ist darüber hinaus der sozio-politische, kulturelle und soziale Kontext. Daher ist die Debatte um gesundheitliche Ungleichheit immer zugleich eine Debatte um soziale Gerechtigkeit (Marmot et al. 2010).
Ein zentrales Merkmal gesundheitlicher und sozialer Ungleichheit ist, dass sie über den Lebensverlauf größer wird, da sich viele der oben angeführten Faktoren gegenseitig verstärken (Marmot et al. 2010).
Sollen alle Menschen, das heißt AUCH benachteiligte Menschen, von Maßnahmen der Gesundheitsförderung profitieren, müssen die Maßnahmen strategisch und praktisch entsprechend geplant und umgesetzt werden. Wird dies nicht getan, verstärken Maßnahmen der Gesundheitsförderung häufig gesundheitliche Ungleichheit weiter. Um dies zu vermeiden, ist es wichtig, für das Thema zu sensibilisieren, Wissen zu schaffen und zu verbreiten und die praktische Umsetzung zu unterstützen. Daher ist gesundheitliche Chancengerechtigkeit als Grundprinzip der Gesundheitsförderung weiter zu verankern.